... sowas gibt`s doch nur in München
Stigmatisierung durch Paßeinträge – eine fortwirkende Problematik
Die Erfahrungen queerer Menschen mit staatlicher Kontrolle und Diskriminierung sind tiefgreifend – insbesondere bei schwulen Männern. Diese Erfahrungen sind nicht nur historisch geprägt, sondern wirken bis heute nach.
Vor allem die systematische Verfolgung homosexueller Männer während des Nationalsozialismus, in dem §175 StGB tausendfach als Grundlage für Verhaftungen, Zwangsarbeit, medizinische Experimente und Deportationen genutzt wurde, hat sich tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Auch nach 1945 blieben Verfolgung und gesellschaftliche Ausgrenzung bestehen. Erst sehr spät wurden staatliche Verantwortung anerkannt und Schritte zur Rehabilitierung unternommen.
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass schwule Männer sowie die sie unterstützenden Hilfs- und Interessenorganisationen mit besonderer Wachsamkeit auf jede Form staatlicher Stigmatisierung reagieren. Eine solche Stigmatisierung kann auf vielen Ebenen erfolgen – sei es durch diskriminierende Polizeipraxis, durch ungleiche Behandlung im Strafvollzug oder durch die Eintragung sensibler Informationen in offizielle Dokumente.
Ein besonders drastisches Beispiel solcher institutioneller Stigmatisierung wurde Mitte der 1990er-Jahre bekannt: Die Polizei München hatte damals in einigen Fällen auf den Rückseiten von Pässen ausländischer Männer handschriftliche oder gestempelte Vermerke angebracht, die sich auf deren angebliches Verhalten oder die Orte ihres polizeilichen Antreffens bezogen.
Dabei fielen Einträge wie „Homo-Strich“, „Homo-Szene“ oder ähnliche Begriffe. Gemeint waren damit Treffpunkte, an denen sich Männer zum Zweck sexueller Kontakte aufhielten, oft in öffentlichen Räumen, wie etwa in Parks oder an Bahnhöfen. Solche Vermerke wurden insbesondere bei südosteuropäischen und lateinamerikanischen Männern vorgenommen, die als sogenannte „Stricher“ – also männliche Sexarbeiter – galten oder verdächtigt wurden.
Die Aufdeckung dieser Praxis führte damals zurecht zu erheblicher Kritik aus der Zivilgesellschaft, insbesondere von schwulen Selbstorganisationen, AIDS-Hilfen und Menschenrechtsinitiativen.
Die Polizei München sah sich gezwungen, die Praxis zu beenden, und räumte später ein, dass die Einträge aus heutiger Sicht rechtswidrig und diskriminierend gewesen seien. Dennoch bleibt dieser Fall ein mahnendes Beispiel dafür, wie schnell staatliche Kontrolle in menschenrechtswidrige Bahnen geraten kann, wenn sie nicht von Sensibilität, Fachwissen und Respekt für Minderheitenrechte begleitet wird.
Fazit
Die Eintragung von Begriffen wie „Homo-Strich“ in amtliche Pässe war ein klarer Fall staatlicher Stigmatisierung, der nicht nur die betroffenen Personen beschädigt, sondern auch das Vertrauen in die Neutralität und Menschenrechtsbindung staatlichen Handelns untergräbt. Die Erinnerung an solche Praktiken bleibt notwendig – nicht um vergangenes Fehlverhalten anzuprangern, sondern um gegenwärtige Diskriminierungen zu erkennen und ihnen vorzubeugen. Eine offene, rechtsstaatliche und diskriminierungsfreie Gesellschaft muss auch die blinden Flecken ihrer Institutionen thematisieren – und daraus lernen.



Der Vorgang wurde zur Sensibilisierung der Mitarbeitenden des Polizeipräsidiums München im Jahr 2020 in der Mitarbeitenden Zeitschrift nochmals aufgegriffen.
Quelle: `Ettstraße` Ausgabe April/ Mai/ Juni 2020
Interpellation zur polizeilichen Diskriminierung von schwulen Männern – Analyse von Punkt 12 der Drucksache 14/3794 des Bayerischen Landtags
Am 9. März 2000 reichte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag eine Interpellation (Drucksache 14/3794) ein, die sich mit zahlreichen Fällen mutmaßlichen polizeilichen Fehlverhaltens in Bayern befasste. Der umfassende Fragenkatalog zielte auf eine kritische Überprüfung staatlicher Sicherheitsbehörden und insbesondere der Polizei ab – mit besonderem Fokus auf das Verhältnis zwischen Polizei und Minderheiten.

Zwei konkrete Fälle aus der schwulen Community wurden in der Interpellation besonders hervorgehoben und gaben Anlass zu Nachfragen über potenziell diskriminierende oder stigmatisierende Maßnahmen durch Polizeikräfte.
Punkt 12: Kritik an Passvermerken und mutmaßlichem Polizeigewaltvorfall
Im Punkt 12 der Interpellation wurden zwei zentrale Themen angesprochen:
- Der Eintrag diskriminierender Vermerke wie „Homo-Strich“ oder „Homo-Szene“ in Reisepässe ausländischer Männer, durch bayerische Polizeikräfte – konkret durch die Polizei in München.
- Ein mutmaßlicher Übergriff durch Polizeibeamte auf eine Person aus der schwulen Community.
Beide Fälle warfen schwerwiegende Fragen nach institutioneller Homophobie, unzulässiger Datenverarbeitung sowie möglicher polizeilicher Gewaltanwendung auf – und wurden von der Grünen-Fraktion mit Nachdruck zur politischen Klärung gebracht.
Die Interpellation stellte die berechtigte Frage, auf welcher rechtlichen Grundlage die Polizei derartige Vermerke in Pässen vorgenommen hat. Es wurde hinterfragt:
- Mit welchem Zweck diese Einträge erfolgten.
- Ob es sich um eine systematische Praxis handelte.
- Ob und wie viele Personen betroffen waren.
- Ob eine rassistische oder homophobe Motivation dahinter stand.
- Welche Konsequenzen daraus für die betroffenen Personen resultierten, z. B. bei späteren Polizeikontrollen, Auslandsreisen oder Asylverfahren.
Diese Form der Kennzeichnung wurde von vielen queeren Organisationen als institutionalisierte Stigmatisierung verstanden. Durch die Sichtbarmachung einer vermuteten sexuellen Orientierung oder sozialen Tätigkeit (Sexarbeit) in einem amtlichen Dokument wurde nicht nur das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Personen verletzt – es wurde auch ein gesellschaftliches Vorurteil durch staatliches Handeln verstärkt und legitimiert.
Die Interpellation der Grünen-Fraktion stellte damit die Frage nach der Verhältnismäßigkeit, Rechtmäßigkeit und ethischen Vertretbarkeit solcher Maßnahmen. Insbesondere im Lichte der historischen Verfolgung homosexueller Männer – auch durch Polizei und Justiz – wog dieses Vorgehen besonders schwer.
Auszug aus der Interpellation zur polizeilichen Diskriminierung von schwulen Männern – Analyse von Punkt 12 der Drucksache 14/3794 des Bayerischen Landtags

Angeblicher Übergriff durch Polizeibeamte
Zusätzlich wurde im Rahmen von Punkt 12 ein Fall thematisiert, in dem es zu einem mutmaßlichen körperlichen Übergriff durch Polizeikräfte auf einen homosexuellen Mann gekommen sein soll.
Die Grünen-Fraktion forderte eine detaillierte Aufklärung:
- In welchem Zusammenhang es zu dem Vorfall gekommen sei,
- wie sich das Verhalten der Beamt*innen darstellte,
- ob es zu einer Untersuchung durch interne Dienstaufsicht oder externe Stellen kam,
- und welche Konsequenzen – disziplinarisch oder rechtlich – ggf. gezogen wurden.
Der Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung des Betroffenen stand hierbei im Fokus: Es wurde vermutet, dass der Übergriff nicht nur ein Einzelfall polizeilicher Gewaltanwendung, sondern auch Ausdruck struktureller Homophobie innerhalb der Sicherheitsbehörden sein könnte.
Die Grünen wollten wissen, ob der Betroffene gezielt aufgrund seiner Zugehörigkeit zur schwulen Community Opfer von Gewalt oder entwürdigender Behandlung geworden war – etwa durch herabwürdigende Sprache, unangemessene Durchsuchungen oder körperliche Misshandlung.
Antwort der Polizei München auf die gestellte Frage der Landtagsfraktion.

Polizei erschreckt drei Rentner beim Biseln
Drei ältere Männer wurden in einer öffentlichen Toilette am Harras von Zivilpolizisten kontrolliert und zur Ausweiskontrolle vor zahlreiche Passanten aufgefordert.
Die Betroffenen fühlten sich gedemütigt und diskriminiert. Die Polizei begründet die Maßnahme mit Hinweisen auf sexuelle Handlungen an dem Ort, der als Szene-Treff für
Homosexuelle bekannt sei. Laut Polizei sollen die erhobenen Daten nicht gespeichert, sondern nur zur Abschreckung genutzt werden.
Die Betroffenen empfinden das Vorgehen dennoch als entwürdigend und homofeindlich.
Der Vorgang vom September 2016 zeigt, wie sensibel schwule Männer auf Polizeikontrollen reagieren.